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02.07.2025

Rotierendes Haus in der Pfalz gelandet

Gebäude der Sonne nachführen und den ganzen Tag wechselnde Ausblicke genießen: Sich drehende Häuser machen es möglich. In der Pfalz wurde nun ein solches Haus nach den Ideen und ausgeklügelten Konstruktionen eines Bauherrenpaares als begrüntes Holzhaus gebaut. Im Zentrum an der Basis setzt ein Stirnradgetriebemotor von SEW-Eurodrive die bis zu 180 t des Gebäudes in Bewegung und ermöglicht so eine 360-Grad-Drehung.

Astrid Rohde und Olaf Schiwek vor ihrem „Ufo“: Die beiden haben das nachhaltige Drehhaus gemeinsam geplant und umgesetzt (Bild: SEW-Eurodrive, Schiwek)

Das Projekt zeigt, wie industrielle Antriebstechnik auch in anderen Bereichen wie der kinetischen Architektur für neuartige Wohnkonzepte fruchtbar gemacht werden kann. Durch ein nachhaltiges Energiekonzept ist das Pfälzer „Ufo“ acht Monate im Jahr energieautark.

Seit seiner Kindheit begeistert sich Olaf Schiwek für die Natur, das Konstruieren von Gebäuden auf dem Papier und für den Flugzeugbau. Der schonende und effiziente Ressourceneinsatz liegt dem Lehrer für Geografie und Biologie am Herzen. Warum er nicht Architektur studiert habe? „Dann hätte ich kubisch bauen müssen – und das wollte ich nie!“, sagt er. „Runde Gebäude haben mich schon immer fasziniert.“ Klar, dass auch sein privates Wohnhaus ein Rundbau werden sollte. In der Stadt, wo er mit seiner Partnerin zunächst auf Grundstückssuche ging, stieß er damit auf wenig Begeisterung. Zu abgefahren sei die ufo-ähnliche Konstruktion, hieß es vor allem seitens des Bauamtes.

Runde Gebäude haben mich schon immer fasziniert

Das Paar ließ sich jedoch nicht beirren. Eher zufällig fiel ihnen bei einem Spaziergang in Winterborn südlich von Bad Kreuznach ein Grundstück auf, das zum Verkauf stand. Die Ortsgemeinde im rheinland-pfälzischen Donnersbergkreis hat rund 170 Einwohner. Das Paar konnte Bürgermeister und Gemeinderat einstimmig für ihr Projekt „drehbares Haus“ gewinnen.

Das Haus dreht sich in 24 Stunden einmal um die eigene Achse, kann jedoch auch innerhalb von 30 Minuten eine halbe Umdrehung vollführen (Bild: SEW-Eurodrive, Schiwek)

Von März bis Oktober energetisch autark

Das Haus dreht sich in 24 h einmal um die eigene Achse. Mit dem Antrieb von SEW-Eurodrive ist jedoch auch eine Umdrehung in der Stunde möglich. Doch wozu überhaupt ein drehbares Haus bauen? „Wegen des Wohnwertgewinns“, erläutert Olaf Schiwek. „Wenn ich beim Frühstück sitze, kann ich entscheiden, ob ich den Blick in die Ferne zu den Windrädern schweifen lasse oder ob ich lieber in Richtung des begrünten Hangs schaue.“

Durch die Drehung können die Kollektoren auf dem Dach der Sonne nachgeführt werden und so Strom erzeugen. Der Speicher reicht für einen Tag. Wenn er voll ist, fließt die überschüssige Energie in einen 1.000-Watt-Heizstab zur Heißwasserversorgung für die Dusche, Spülmaschine und sonstige Warmwasserverbraucher. „Dadurch sind wir hier von März bis Oktober energetisch autark“, erklärt Schiwek, „dazwischen heizen wir bei Bedarf mit einem Holzofen.“

Wohnbereich des Hauses mit drehbarer Aussicht (Bild: SEW-Eurodrive, Schiwek)

Geringe Bodenversiegelung

Eine Metallbaufirma gab Schiwek den Tipp, dass ein Drehkran von der Konstruktion her sehr ähnlich dem sei, was er als Unterbau des drehbaren Hauses brauche. Kräne beherrschen Kräfte in einer Kugel-Dreh-Verbindung. Schiwek nahm darum Kontakt zur Wilbert Tower Cranes GmbH auf. Ihr damaliger Senior-Chef war von der Idee sofort begeistert und sicherte eine bezahlbare Lösung zu. Wilbert stellte das zentrale Bauwerk zur Krafteinleitung ins Kugellager her, die sogenannte Stahlkrone. Dabei kam es auf höchste Präzision bei den Schweißarbeiten an – kein Problem für eine Kranbaufirma. Den eingesetzten Zahnkranz von Liebherr findet man üblicherweise am Flügel einer Windkraftanlage. Der gesamte Unterbau für das drehbare Haus findet Platz auf einem Fundament von etwa 5 m2. Dadurch muss weniger Boden versiegelt werden, was nachhaltig ist.

Kleiner Antrieb – großer Dreh

Stirnrad-Getriebemotoren von SEW-Eurodrive ermöglichen auch kinetische Architektur und nachhaltige Gebäude-innovationen (Bild: SEW-Eurodrive)

Es kommt nicht oft vor, dass von einem SEW-Motor derart niedrige Umdrehungszahlen gefordert werden. Die geringe Geschwindigkeit von einer Umdrehung in 24 h stellte die Techniker von SEW-Eurodrive vor eine kleine Herausforderung. Es wurde ein dreiphasiger Stirnrad-Doppelgetriebe-Asynchronservomotor ausgewählt, der mit einer hohen Gesamtübersetzung aus insgesamt sechs Getriebestufen das Haus in Bewegung bringt. In Verbindung mit dem passenden Frequenzumrichter Movidrive ergibt sich ein für die Anwendung optimiertes Antriebssystem. Über den gesamten Drehzahlbereich wird somit eine größtmögliche Laufruhe erreicht. Er ist in einem Schaltschrank in der Nähe des Getriebemotors – im Keller des Gebäudes – verbaut.

Eine regionale Elektrofirma übernahm den Einbau und die Inbetriebnahme der Antriebstechnik. Später stellte sich heraus, dass aufgrund von Motorgeräuschen einige Umrichterparameter geändert werden müssen. Der Bauherr wandte sich an den Service von SEW-Eurodrive im technischen Büro Rhein-Main. Vertriebsingenieur Carlo Grauel reagierte prompt und beauftragte einen Serviceingenieur in Bruchsal. Per Fernwartung optimierte er die Reglereinstellungen zur vollen Zufriedenheit.

Nachhaltige Baumaterialien

Zum Eingang des Hauses gelangt man über eine sanft ansteigende Rampe, auf der Holzhackschnitzel ausgelegt sind. Sie haben den Vorteil, dass Regenwasser im Boden versickern kann und die Schuhe weitestgehend sauber bleiben. Beim Betreten des Hauses steigt einem der angenehme Duft von Holz in die Nase. Innen ist es behaglich – das gesamte Gebäude ist aus Holz gebaut. Die Basis dafür sind abgerundete Holzbalken, für die die Bauherrschaft erst bei der Firma Rubner in Österreich fündig wurde. Die Innenverkleidung besteht aus OSB-Holzleichtbauwänden mit zwei Prozent Leimanteil. Für OSB-Platten (oriented strand board) werden Hölzer zerspant, beleimt und durch Pressung in Grobspanplatten verwandelt. Anschließend wurden die Wände auf traditionelle Weise mit Lehm verputzt, gekalkt und danach mit Eisenoxid als Pigment versehen. So entstand eine stark alkalische Wand, auf der weder Bakterien noch Pilze eine Chance haben.

Effiziente Warmwasserversorgung

Auf der ersten Ebene befindet sich eine offene Küche, die mit einem Vorratsraum verbunden ist. Hier ist der 1.000 l fassende Wasserspeicher eingebaut. An den gemütlichen Essplatz mit Ausblick schließt sich das Wohnzimmer an. Beheizt wird es durch ­einen innovativen, wasserführenden Kaminofen mit Holzvergaserbrenntechnik.

Ein Schlaf- und ein Gästezimmer sowie ein geräumiges Bad komplettieren die Einrichtung dieses Stockwerks. Über eine Wendeltreppe gelangt man in die obere Etage, auf der sich weitere Zimmer befinden. In einer Freizeitecke kann man hier zum Beispiel durch die Dachfenster die Sterne betrachten. Das Haus bietet ausreichend Platz für zwei Erwachsene und mehrere Kinder.

Ein Blick in den Maschinenraum

Vor dem Holzofen befindet sich eine gläserne Funkenschutzplatte, durch die man in das Untergeschoss des Hauses blicken kann, in den „Maschinenraum“. Dort hinein gelangt man über eine Luke. Hierzu entfernt Schiwek zwei Bodendielen und einen Balken. Durch das Öffnen wird ein Sicherheitselement aktiviert, das wiederum einen Eingang im Frequenzumrichter bedient und damit den STO (Safe Torque Off) aktiviert, damit keine unkontrollierte Bewegung des Hauses erfolgt und sich keine Person verletzt.

In der Mitte des Raums wird die Technik sichtbar, die das Haus dreht. Dort verrichtet der Stirnrad-Doppelgetriebe-Servomotor von SEW-Eurodrive seine Aufgabe. Mit wenigen Umdrehungen pro Minute bewegt er das Antriebsritzel – und somit den Zahnkranz und das Haus. Alle Anschlüsse laufen hier unten zusammen. Man erreicht sämtliche Elektrokabel, Wasser- und Heizungsleitungen. Das Abwasser läuft in der Mitte in einem Rohr im Rohr ab. Auch der Wärmetauscher für die Lüftungsanlage ist von hier aus zugänglich.

Nahezu unbegrenzte Lebensdauer

Für die Wartung und Instandhaltung der technischen Bauteile sollten laut der Hersteller Liebherr (Kugeldrehverbindung) und SEW-Eurodrive (Getriebemotor) praktisch keine Kosten anfallen. Die Beanspruchung dieser Komponenten sei im Vergleich zu ­industriellen Anwendungen vernachlässigbar und die Hersteller würden somit eine nahezu unbegrenzte Lebensdauer erwarten. Sollte das Kugellager jemals doch einen Schaden aufweisen, könnte man das gesamte Gebäude, das maximal 180 t wiegt, mithilfe von Hydraulikkissen anheben.

Lüftung und Kühlung sorgen für gutes Klima

Auf dem Grundstück fällt ein kleiner Turm aus Metall auf. Das ist die kontrollierte Wohnraumlüftung (KWL), also ein Wärmetauscher. Das Haus muss nicht gelüftet werden, was sich positiv auf die Energiebilanz auswirkt, weil man durch das Lüften bis zu 80 Prozent der Heizenergie verliert. Frischluft wird von außen über die KWL angesaugt, Abluft über einen Kreuzwärmetauscher nach außen abgegeben. Zum Erwärmen der Frischluft wird zusätzlich bodennahe Geothermie genutzt.

Das Dach des Hauses ist mit Blühpflanzen begrünt. Die Begrünung sorgt für Kühlung durch Wasserverdampfung und somit für ein angenehmes Wohnklima. Die Dachbepflanzung wird über eine Pumpe mit Regenwasser bewässert, das in einer Zisterne mit 7 m3 Fassungsvermögen gesammelt wird. Die Schläuche, die von der Dachrinne das Regenwasser ableiten, drehen sich mit dem Haus.

Apropos Dach: Hier ist ein kleines Windrad angebracht, das vor allem im Winter zur Stromerzeugung dient. Eine weitere Energiequelle ist eine Photovoltaikanlage, die auf einer langgezogenen Wellblechgarage montiert wurde.

Konzept trifft auf großes Interesse

Ich würde nie wieder ein Haus bauen, das sich nicht drehen lässt

Das Interesse am drehbaren Haus war und ist in Winterborn groß, insbesondere für die autarke Energieversorgung begeistern sich Interessenten. Auch auswärtige Besucher wurden schon empfangen. Zwei Bauherren haben bereits Interesse an dem Konzept geäußert. Mittelfristig stellt Schiwek sich vor, sein Wissen als Beratungsleistung weiterzugeben. Je größer das Netzwerk wird, umso mehr kann sich die Idee des nachhaltigen Bauens verbreiten.

„Das Drehen eines Gebäudes hat so viele Vorteile; ich würde nie wieder ein Haus bauen, das sich nicht drehen lässt – egal in welcher Form“, sagt Schiwek. Er hat bereits weitere Ideen für die Schaffung von nachhaltigem Wohnungsbau.

Weiterführende Informationen

  • Getriebemotoren von SEW-Eurodrive
  • Antriebstechnik von SEW-Eurodrive kommt in sehr vielen Branchen zu Einsatz
  • Bewegung, Tradition und Innovation: SEW-Eurodrive TV, der YouTube-Chanel des Herstellers

Dieser Artikel ist zuerst in „Der Konstrukteur“ 02/2025, S. 16-18 erschienen und kann auch im E-Paper gelesen werden.

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